Als kleines Mädchen habe ich einmal bei einer deutschlandweiten Verlosung mitgemacht, bei der man, wenn man ein schönes Bild malte, eine von zehn großen Kisten Faschingszubehör gewinnen konnte. Ich rechnete mir gute Chancen aus, und als ich dann leer ausging, war ich schrecklich enttäuscht. Meine Eltern waren nicht enttäuscht: Sie hatten die ganze Zeit versucht mir klarzumachen, dass ich höchstwahrscheinlich nicht zu den glücklichen Gewinnern gehören würde (abgesehen davon, hatten sie sich über die Aussicht auf zwanzig Pappnasen, zehn Clownshüte u.a.m. nicht so begeistert wie ich).

Die Enttäuschung konnte mich also erwischen, weil ich mir falsche Vorstellungen gemacht hatte. Ein französischer Literat sagte im 17. Jahrhundert:

„Schlimm ist es, wenn man sich täuscht; noch schmerzlicher aber, wenn man dann ent-täuscht wird.“ Merkwürdigerweise würden wir auf eine arglistige Täuschung im materiellen Bereich, auf ein Betrugsmanöver nicht mit dem Gefühl „Enttäuschung“ reagieren, sondern eher mit Empörung oder Bestürzung. Wir sind nicht enttäuscht, wenn wir das Mercedescabrio nicht gewinnen, das uns eine blecherne Stimme am Telefon versprochen hatte. Wir sind enttäuscht, wenn wir wieder einmal feststellen mussten, dass wir doch nicht vom Schicksal begünstigt wurden, nicht emporgehoben wurden aus der breiten Masse, sondern nur genauso „schlecht“ dastehen zuvor. Enttäuschung hat mit persönlicher Kränkung zu tun.

Wieso hoffen wir eigentlich darauf, dass wir etwas Besonderes sein könnten? Nun, manchmal sind wir es ja. Für unsere Eltern sind wir etwas Besonderes, und die trösten uns ja auch und geben uns Anleitung in unsern ersten Erfahrungen mit Enttäuschungen (so sollte es zumindest sein). Vielleicht haben wir auch besondere Fähigkeiten und somit realistische Aussichten auf eine hervorgehobene Position. Ohne Enttäuschungen geht es auf dem Weg nach oben natürlich nie ab, und es ist auch eine Fähigkeit, mit Rückschlägen angemessen umzugehen. Wer etwas erreichen will, muss die eigenen Talente entwickeln – was schon einmal nicht so einfach ist, denn wir tragen eine Menge Ängste und Bequemlichkeiten als Hindernisse in uns selbst. Zudem gibt es Hindernisse in der äußeren Realität; es gibt Bedingungen und Grenzen, mit denen wir angemessen umgehen müssen, sonst werden wir auch unsere besten Talente im echten Leben nicht unterbringen.

Wir müssen also an uns selbst und an der äußeren Wirklichkeit arbeiten, dann können wir unser Potenzial entfalten und auf unsere ganz persönliche Art wirklich etwas Besonderes werden. Je klarer wir uns und die Welt sehen, umso weniger werden wir enttäuscht werden. Aber, sagt da jemand, wir sind doch schon alle erwachsen, haben Lebenserfahrung, mühen uns ab und sind trotzdem nicht vor Enttäuschungen gefeit. Liegt es an den bösen andern, die uns ständig hinters Licht führen? Oder sind die andern nicht wirklich böse, sondern nur ebenso wie wir auf ein wenig Aufmerksamkeit, Lob und Belohnung aus? Haben wir uns wieder selbst geirrt? Das kommt leider vor, und zwar besonders dann, wenn wir elend und bedürftig sind, weil es das Schicksal gerade nicht gut mit uns meint. In solchen Augenblicken wünschen wir uns verzweifelt etwas, das unser Herz erfreuen könnte – eine neue Liebe, ein Geldsegen, eine Auszeichnung. Scheint dann plötzlich die große Chance zu winken – der Chef hat eine Andeutung gemacht, die neue Bekanntschaft nett geblinzelt – so fangen wir an zu glauben. Hoffnung baut sich auf; sucht nach allem, was ihr Nahrung geben könnte, übersieht alles, was sie entmutigen könnte – und diese Hoffnung hält und hält, bis sie sich endlich bewahrheitet oder aber: enttäuscht wird. Manchmal hoffen wir wider jede Vernunft, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass etwas Schreckliches im Anmarsch ist. Wir haben Angst vor dem Schmerz, den Strapazen und Verlusten und blenden alle Warnsignale einfach aus, bis uns die Wirklichkeit schließlich einholt. Und dann wäre es besser gewesen, wenn wir rechtzeitig Maßnahmen zu unserm Schutz ergriffen hätten.

Es ist nicht so leicht, den Tatsachen stramm ins Auge zu blicken. Oft sitzen wir noch im Nachhinein da und wissen nicht, wie uns geschehen ist, während die Mitmenschen flüstern:

„Ja, der ist immer so – das war ganz unwahrscheinlich – wir hatten es kommen sehen.“ So etwas hören wir nicht gern, aber vielleicht können wir ja dazulernen – welche Anzeichen und Anmerkungen hätten wir ernster nehmen müssen? Hatten wir vielleicht in uns selbst schon berechtigte Zweifel ersticken müssen, weil uns die Hoffnung so kostbar war?

Hoffnungen sind wertvoll – wenn sie „echt“ sind und nicht „falsch“. Echte Hoffnungen wirken einleuchtend und anregend, aber nicht beunruhigend. Hoffnungen, die einem nachhaltig den Schlaf rauben, gehören eher in die „fantastische“ Kategorie und sind mit gesundem Misstrauen zu betrachten. Das heißt nicht, dass man gleich aufgeben muss – man darf auch mal etwas Fantastisches wagen, und zuweilen ist Vorfreude die schönste Freude. Aber wir sollten wissen, wie aussichtsreich das Gewinnspiel ist, an dem wir uns beteiligen. Wenn die Chancen klein sind, halten wir auch den Einsatz klein.

Schutz vor Enttäuschungen:

  1. Eigene Möglichkeiten realistisch einschätzen.
  2. Äußere Gegebenheiten realistisch einschätzen.
  3. Angemessene Bemühungen einbringen.
  4. Sich mit andern beraten.
  5. Alternativen parat halten.

Und wenn es dann doch wieder passiert ist, wenn die Enttäuschung Sie beutelt, hacken Sie nicht zu sehr auf sich und der Welt herum. Überlegen Sie lieber, was Sie dazu gelernt haben? Und spendieren Sie sich einen Trost.