EMDR ist die Abkürzung für den englischen Ausdruck:

„Eye movement desenzitization and reprocessing“.

Eye movement: Augenbewegungen;

Desenzitization: Desensibilisierung, das heißt so viel wie unempfindlich machen;

Reprocessing: neu programmieren.

Wie ist das alles zu verstehen? EMDR ist eine Methode zur Entschärfung belastender seelischer Inhalte, insbesondere belastender Erinnerungen. Manche schlimmen Ereignisse hinterlassen Eindrücke, die einfach nicht vergehen wollen. Noch Monate oder Jahre später fühlt sich das Ereignis so furchtbar und aktuell an, als sei es eben erst geschehen. So etwas kann vorkommen, wenn die Sache so schlimm war, dass unser seelischer Apparat den Schrecken und den Schmerz einfach nicht verwinden konnte. Genau wie unser Darm zum Beispiel bei einer Lebensmittelvergiftung „verstimmt“ reagiert und mit den giftigen Keimen nicht ohne schwere Störsymptome fertig wird, kann auch unsere Seele nicht alles „verdauen“. Manche Ereignisse können weder verarbeitet noch vergessen werden. Die Erinnerungen drängen sich immer wieder auf, grässliche Bilder und Gefühle (Intrusionen), womöglich auch Körperreaktionen wie Herzrasen und Schweißausbrüche. Die betroffenen Menschen sind ständig damit beschäftigt, ihre Erinnerungen von sich wegzudrücken oder „drum herum“ zu denken. Manchmal tun sie vor sich selber so, als sei gar nichts Schlimmes geschehen, aber das hilft nicht. Manchmal schalten sie, ohne es selbst zu merken, ihre Wahrnehmung einfach ab. Dann können zwar die Erinnerungen nicht mehr so quälen, allerdings ist man im Hier und Jetzt auch nicht mehr richtig präsent und erlebt womöglich peinliche Pannen.

Wer mit solchen Problemen zu kämpfen hat, leidet an einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (post-: nach). Als psychisches Trauma bezeichnet man also einen Vorfall, der so belastend war, das er gravierende seelische Symptome nach sich gezogen hat (wobei ein und dasselbe Ereignis nicht alle Betroffenen gleichermaßen traumatisieren muss – die individuelle Empfindlichkeit ist unterschiedlich). Gegen diese Symptome soll EMDR helfen. Wie funktioniert das? Zunächst einmal kreist man mit dem Patienten das belastende Ereignis genau ein: Der Patient soll sich – was er sonst vermeidet – das Ereignis noch einmal in seinem ganzen schlimmen Ausmaß vorstellen. Die Therapeutin hilft ihm dabei. Das bezeichnet man als Konfrontation mit dem Trauma. Dann fängt die Therapeutin an, ihre Finger vorm Gesicht des Patienten hin- und her zu bewegen, und der Patient folgt mit den Augen. Diese Augenbewegungen bewirken, dass das Gehirn schnell wechselnden Reizen ausgesetzt ist (alternierende Stimulation); eine ungewohnte Situation, die in Geist und Seele eine gewisse Erregung auslöst. Da ist nun also zum einen die Erinnerung, gegen die sich die Seele eigentlich wehrt, ohne aber ein wirkliches Vergessen zu erreichen, und zum andern die wachsende psychische Erregung durch die Augenbewegungen. In der Erregung ist die Seele plötzlich nicht mehr recht in der Lage, die Erinnerung von sich fernzuhalten – man könnte sagen, die Abwehr wird unterwandert. Dies ist der erwünschte Effekt. Denn da die Seele ja nicht in der Lage war, das Ereignis zu verdauen, soll es lieber noch einmal hochkommen – im Schutz der Therapiestunde. Der Patient wird wahrscheinlich die alten heftigen Reaktionen zeigen, doch jetzt ist die Therapeutin dabei, stellt Sicherheit her und vermag einige der zuvor im Verborgenen liegenden, jetzt aber laut werden Ängste zu entschärfen. Es sind dies Gefühle von Hilflosigkeit, Verzweiflung, Wut, Resignation und andere. Da die Seele in diesen Augenblicken ungewöhnlich offen ist, kann die Therapeutin mit dem Patienten die alten niederschmetternden Überzeugungen entwurzeln und durch heilsame Gedanken ersetzen.

Je nach Schweregrad der Traumatisierung werden entsprechend viele Traumakonfrontationen nötig sein, bis die Erinnerung nicht mehr schmerzt. EMDR bewirkt an sich kein Vergessen, doch soll die Erinnerung nach der Behandlung entschärft sein, keine bösen Gefühle mehr an sich haften haben, sondern allmählich in die Auflösung übergehen. Ursachen psychischer Traumatisierung können zum Beispiel sein: Unfall, Überfall, schwere Krankheit, schwere Operation, Missbrauchserfahrung, Misshandlung, Miterleben schockierender Vorfälle. EMDR ist heute die Methode der Wahl zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen, aber auch bei neurotischen Ängsten, Phobien, Panikstörungen sowie Schmerzsyndromen unter Umständen erfolgversprechend. Voraussetzung ist allerdings stets, dass der Patient über eine gewisse psychische Grundstabilität verfügt und den vorübergehenden Erregungsanstieg, den EMDR mit sich bringt, verkraften kann. Auch sollte EMDR nur gemacht werden, wenn die ursprüngliche Belastungssituation eindeutig nicht mehr besteht. Das gegenwärtige Leben des Patienten muss sicher sein, denn natürlich können Ängste nicht wirksam überwunden werden, solange real noch Gefahr droht. Außerdem sollten keine ungelöst schwelenden Konflikte die Hauptursache für Angst oder Panik sein, denn auch hier würde EMDR nicht entscheidend weiterhelfen, weil es die Konfliktbearbeitung nicht ersetzen kann.

In der Therapie muss also im Vorfeld geklärt werden, ob 1) der Patient stabil genug ist (evtl. können hier flankierende Medikamente nützlich sein), ob 2) sein Umfeld sicher ist, und dass 3) nicht vor allem bewusste oder unbewusste (hier kommt die Tiefenpsychologie ins Spiel) Konflikte die eigentliche Ursache für die Störung sind. Wenn Sie zu mir in Behandlung kommen, werde ich mir von Ihren Problemen ein Bild machen, und Sie gegebenenfalls darüber aufklären, ob in Ihrem Fall eine EMDR-Behandlung angebracht erscheint – möglicherweise eingebettet in eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie, denn nicht selten zieht eine Traumatisierung auch Folgeschäden nach sich, die psychische Unterstützung, eingehendes Nachdenken und vielleicht gewisse Richtungswechsel erfordern. Unterm Strich kann man sagen, dass EMDR richtig eingesetzt eine hochwirksame Methode zur Heilung auch tiefsitzender traumatischer Erfahrungen ist und zwar oft in vergleichsweise kurzer Zeit.