Missverständnisse sind weitaus häufiger, als man glaubt. Warum?

  1. Wir drücken uns nicht klar genug aus und fragen nicht oft genug nach, weil wir
    1. uns nicht die nötige Mühe machen. Klare Verständigung erfordert Gedankenarbeit;
    2. uns nicht die nötige Zeit nehmen. Klare Verständigung erfordert mehr als ein kurzes Brummen;
    3. uns nicht trauen auszusprechen, was wir eigentlich denken – aus Angst, unbescheiden, dumm oder böse zu erscheinen;
    4. erwarten, dass der andere unsere Gedanken auch ohne Worte versteht;
    5. erwarten, dass der andere das sowieso genauso sieht;
    6. glauben, dass sich niemand für unsere Meinung interessiert;
    7. befürchten, dass wir eine unangenehme Reaktion hervorrufen könnten;
    8. selbst nicht wissen, was wir eigentlich wollen und meinen.
  2. Wir sind nicht aufmerksam genug, weil wir
    1. zu müde sind;
    2. die Sache für unbedeutend halten;
    3. gar nicht gemerkt haben, dass jemand zu uns spricht;
    4. glauben, dass wir sowieso schon wissen, was kommt;
    5. abgelenkt sind von Gesichtern, Gesten und dem, was sonst um uns herum vorgeht.
  3. Wir sind nicht unbefangen genug, weil wir
    1. Angst haben, der andere könnte stärker sein als wir und uns übervorteilen;
    2. Angst haben, der andere könnte schwächer sein als wir und uns ausnützen;
    3. so sehr fürchten oder wünschen, der andere könne auf eine bestimmte Art reagieren, dass wir alles, was gesagt und getan wird, im Sinne unserer Erwartung auslegen.

Missverständnisse zu vermeiden, erfordert also Zeit, Mühe und vor allem Mut. Zeit und Mühe sind nötig, um überhaupt erst einmal aus dem eigenen inneren Wust einen klaren Gedanken zu formen. Darüber hinaus brauchen wir aber Mut, um uns deutlich zu vertreten und andere Menschen so wahrzunehmen, wie sie wirklich sind. Wie gerne wären wir mit allen einig oder wüssten wenigstens schon genug, um vor Überraschungen gefeit zu sein. Freilich, wie haben unsere Erfahrungen, und manchmal ahnen wir wirklich im Voraus, was auf uns zu kommt. Aber die Welt ist groß, und die Menschen sind sehr verschieden. Es kann sein, dass jemand vor Ihnen steht, der Ihnen eigentlich recht bekannt vorkommt und in diesem Moment doch anders denkt als Sie und alle Leute, die Sie bisher getroffen haben. Das werden Sie nur herausfinden, wenn Sie genau aufpassen und außerdem wagen, die richtigen Fragen zustellen. Obwohl wir mit Hilfe unserer am Leben geschulten Einfühlungskraft manches richtig spüren – zuweilen werden wir doch irren und besonders dann, wenn wir nicht unbefangen, sondern voller Gefühle und Erwartungen sind.

Missverständnisse können wir nur überwinden, wenn wir miteinander reden. Es reicht nicht, wenn wir gut zuhören – wir müssen auch gut sprechen. Niemand kann unsere Gedanken lesen, und der andere ist anders. Das ist so zwischen Eltern und Kindern, zwischen Liebesleuten, Seelenverwandten und eineiigen Zwillingen. Es bleibt immer eine Kluft zwischen Menschen, die uns ebenso schützt wie mit Einsamkeit bedroht, und die wir nur überbrücken, indem wir uns immer wieder auf Gespräche einlassen. Je erfolgreicher wir uns austauschen, umso weniger besteht die Gefahr, dass wir in den Abgründen des Missverstehens verloren gehen.

Es gibt allerdings Menschen, bei denen ist die Vieldeutigkeit zum Programm geworden. Sie bleiben absichtlich wachsweich, meiden Festlegungen und wollen sich alle Wege offenhalten. Wenn Sie solch einen Verdacht hegen, versuchen Sie anhand gezielter Nachfragen herauszufinden, ob Sie richtig liegen. Hat die Unklarheit Methode? Dann wissen Sie zumindest, was Sie nicht erwarten dürfen.

Da es im Leben aber selbst dann, wenn wir zaudern und ausweichen, am Ende doch immer auf eine Entscheidung hinausläuft, ist es besser, wenn wir beizeiten unsere Richtung und die unserer Mitstreiter bestimmen. Denn sonst werden uns die Entscheidungen abgenommen, und das bedeutet, dass wir uns selbst um eine Einflussmöglichkeit gebracht haben.

Arbeiten wir also an der erfolgreichen Verständigung. Es wäre schön, wenn es im Alltag ein paar Pleiten weniger gäbe, weil wir zum Beispiel nicht mehr das Falsche erledigen oder wertvolle Mitteilungen überhören. Sollten wir also die Schrift auf dem Einkaufszettel nicht lesen können – lieber nachfragen als raten. Das allein sorgt für mehr Zufriedenheit.

Sobald wir über diese elementare Ebene hinausdenken, wird natürlich klar, dass es auch Missverständnisse von ganz anderem Format gibt; Missverständnisse, die nicht nur töricht, sondern tödlich sind. Wenn Sie in letzter Zeit etwas Schockierendes erlebt haben; wenn Sie überlegen, ob Sie Ihren Job hinschmeißen oder einen Menschen nie wiedersehen wollen, oder wenn jemand  urplötzlich vor Ihnen die Flucht ergreift, dann überlegen Sie doch noch einmal, ob Sie sicher sein können, dass kein Missverständnis vorliegt:

  1. Sind Sie sich Ihrer selbst sicher? Haben Sie Ihre eigenen Ideen und Wünsche zum Ausdruck gebracht? Mit Worten oder nur mit Gesten? Waren Sie eindeutig und klar?
  2. Haben Sie Ihr Gegenüber richtig verstanden? Haben Sie nachgefragt? Beruht Ihre Einschätzung der Sachlage auf dem, was der andere gesagt hat, oder auf dem, was Sie am anderen beobachtet zu haben glauben? Haben Sie mehr auf den Tonfall als auf die Worte reagiert?
  3. Kennen Sie die äußeren Begleitumstände gut genug? Wissen Sie über die wichtigen Fakten Bescheid, oder müssen Sie sich erst genauer unterrichten?
  4. Haben Sie das Thema später noch einmal vorgebracht? Vielleicht haben sich über Nacht manche Vorstellungen und Empfindungen geändert, vielleicht ist ein anderer Tag zur Verständigung günstiger, vielleicht können Sie wichtige Ergänzungen liefern oder erhalten?

Setzen Sie sich zum Überlegen in Ruhe mit sich selbst zusammen und später vielleicht auch noch einmal mit dem andern. Wir Menschen besitzen die Sprache, um uns zu verständigen, und wir haben sie auch dringend nötig, denn anders als die Tiere folgen wir nicht den immer gleichen Instinkten, sondern verhalten uns jeder recht eigenwillig. Üben Sie das Sprechen, das Fragen, das Hören und Sehen. Dann wird der Austausch von Botschaften immer besser gelingen – ob sie nun leicht oder schwer sind.